Die Besonderheit an Wes Montgomerys Spiel ist nicht nur, was er spielt, sondern auch wie er es tut. Gitarristen wissen, dass es nicht nur eine Frage des Equipments ist, wie man klingt. Zwei Spieler können dieselbe Gitarre über denseblen Verstärker spielen, und doch höchst unterschiedlich klingen. Die Persönlichkeit eines Gitarristen ist „in den Händen“. Deshalb klingt Wes Montgomery auch dann noch wie Wes Montgomery, wenn er mit geliehenem Gerät aufnehmen muss, wie das zum Beispiel bei „The Wes Montgomery Trio“ (1959) der Fall war (Wes benutzte das Equipment von Kenny Burrell). Was aber macht nun den typischen Wes-Sound?
Der Wes-Daumen
Einen großen Anteil am Wes-Sound hat seine rechte Hand, also die Art, die Saiten mit der Außenseite des Daumes anzuschlagen. Diese Technik ist eine Wes-Erfindung und bis heute einmalig. Zwar benutzen viele Jazzgitarristen wie John Scofield, Jimmy Bruno oder auch Larry Carlton hin und wieder den „Wes-Daumen“, aber eher als Zitat oder um etwas Abwechslung in ihren Sound zu bekommen. Angeblich hat Wes anfangs auf den Pick verzichtet, um leiser üben zu können und so seine Frau nicht zu stören. Möglicherweise ist dies aber auch nur eine Anekdote mit geringem Wahrheitsgehalt. In einem Interview erzählte Wes später, er hätte dann noch einmal versucht, mit dem Plektrum zu spielen, das hätte ihm dann aber nicht mehr zugesagt.
Was ist so besonderes an dieser Technik? Fast alle Jazzgitarristen (und E-Gitarristen im allgemeinen) benutzen ein Plektrum, um die Saiten anzuschlagen. Dies schont die Finger (insb. Jazzgitarren werden mit sehr dicken Stahlsaiten bespannt) und erlaubt ein besonders schnelles Spiel. Die Daumentechnik hingegen ist für sehr schnelle Single-Note-Läufe nicht geeignet, wenngleich Wes auch in dieser Beziehung eine Ausnahme darstellt. Dafür schafft der Daumen einen sehr kraftvollen Anschlag, der gleichzeitig einen sehr weichen und warmen Sound produziert. Diese Kombination aus dynamischer Tonentfaltung und speziellem Klangspektrum ist ein wesentlicher Aspekt der Wes-Sounds.
Downstrokes und Upstrokes
Wer diese Technik einmal selbst ausprobiert, wird sehr schnell die speziellen Sounds, aber auch die damit verbundenen Limitierungen erkennen. Die eher träge Geschwindigkeit resultiert auch daraus, dass man beim Daumenanschlag eigentlich nur von oben nach unten anschlägt bzw. anschlagen kann (Downstroke). Auch Wes Montgomery, der diese Technik wie kein Zweiter beherrschte, benutzte nur äußerst selten Donwstrokes und Upstrokes in Kombination, meist zur Dynamiksteigerung beim Spiel mit Oktaven oder Blockakkorden. Einen etwas anderen Blick auf die (dann vielleicht doch häufiger eingesetzten) Upstrokes vermittelt Lindsay Blair – der kürzlich das hörenswerte Wes-Tribute „All Wes All Day“ eingespielt hat – in diesem interessanten Video:
George Benson behauptet, Wes habe am Daumen seiner rechten Hand eine Art Überbein gehabt, was seiner Technik zugute kam. Da sich Benson und Wes gut kannten, gibt es eine gewisse Glaubwürdigkeit für diese Aussage.
Oktaven und Akkordspiel
Berühmter noch als für den „Wes-Daumen“ ist Montgomery für den Einsatz von Oktaven. Durch die Dopplung des Tones kommt es zu einem prägnanten Sound mit hohem Wiedererkennungswert. Eine gewisse Rolle spielt dabei die abgedämpfte Saite, die zwischen den klingenden Tönen mit angeschlagen wird. Im wesentlichen ist es aber die Dopplung des Tones, die den Klang macht.
Das Melodiespiel in Oktavtechnik – das auf Django Reinhardt zurückgeht, aber heute weitgehend mit Wes Montgomery verbunden wird – bedarf großer Übung, da die Finger der linken Hand ihre Position weitgehend beibehalten und stattdessen der Arm die Bewegung zwischen den Saiten und zu den entsprechenden Bünden übernimmt. Wes Montgomery konnte diese Technik in großer Geschwindigkeit und beinahe unerreichter Virtuosität ausführen.
Überhaupt ist Wes ein Spieler, der seinen linken Arm in ständiger Bewegung hält. Während viele Jazzgitarristen eher ihre Finger in einer bestimmten Lage halten und versuchen, Töne sehr definiert und schnell zu spielen, schickt Wes seinen Arm ständig den Gitarrenhals hinauf und herunter. Sehr ähnlich ist übrigens auch die Spieltechnik von Pat Metheny, der bekanntlich seinen Wes sehr genau studiert hat. Beide Spieler erreichen ihren sehr eigenen Sound unter anderem durch Legatotechniken und Slides, also das hineinrutschen in die Noten.
Dynamik
Eine letzte Besonderheit an Wes Montgomerys Spiel ist die typische Struktur seiner Soli. Wes beginnt mit Single-Note-Linien, steigert die Dynamik dann mit seinem Oktavspiel und endet bei den Blockakkorden, die er perfekt einzusetzen weiß. Diese Choreographie lässt sich etwa ab seinen ersten Aufnahmen als Leader, also ab 1959 in vielen seiner Improvisationen finden. Erst später fängt er an, reine Oktav-Soli zu spielen.
Auf dem abgebildeten Foto kann man sehr gut die typische Haltung der rechten Hand erkennen. Die gespreizten Finger stützen sich am Korpus ab, während der Daumen arbeitet. Da die Gitarre, eine Gibson L5, irgendwann deutliche Spuren dieser Spielweise zeigte, montierte Gibson eine herzförmige Platte unterhalb des Schlagbretts auf die Decke. Im Hintergund zu erkennen: Der Standel Super Custom XV, den Wes Montgomery in seinen späten Jahren als Standardamp benutzte.
Wer die Spielweise von Wes Montgomery genauer studieren möchte, sollte sich die wenigen Videoaufnahmen ansehen, die es von ihm gibt. Einige sind auf YouTube zu finden. Besonders empfehlenswert ist jedoch die DVD Live in ’65 aus der Jazz-Icons-Serie, die eine sehr gute Auswahl von Videos enthält, die bei diversen Fernsehauftritten während der Europatour 1965 entstanden sind.
5 Kommentare
thanks for these interesting informations!
thanks for these interesting informations! Rgegards Wolfgang from Germany
Sehr aufschlussreicher Beitrag! Ich selbst bin über Rock, Metal, back to the roots zum Blues, und weitergehend beim Jazz angekommen. Mittlerweile eine der wohl faszinierendsten Weisen, Gitarre zu spielen. Neben Charlie Christian, Barney Kessell, Charlie Byrd und Kenny Burrell zählt selbstredend Wes Montgomery zu den absoluten, nennen wir sie Grund-Einflüssen. Und genau die Frage, wie Letzterer diesen unverkennbaren Sound erreicht, ist hier sehr transparent dargestellt worden…Dank dafür!
Vielen Dank!