Wes Montgomery & The Montgomery-Johnson Quintet

von Oliver Dunskus

 

Paradoxerweise ist die früheste Plattenaufnahme Wes Montgomerys gleichzeitig die zuletzt erschienene. Fast 60 Jahre hat es gedauert, bis diese Probeaufnahmen des Montgomery-Johnson-Quintets publiziert wurden, und vor allem der Name des Produzenten versetzt in Erstaunen: Es ist der legendäre Quincy Jones, der später von Frank Sinatra über George Benson bis Michael Jackson einige der erfolgreichsten Musiker der Welt produziert hat.

Jones war im Juni 1955, als die Aufnahmen des Montgomery-Johnson-Quintetts entstanden, erst 22 Jahre alt. Als Produzent ein Neuling, konnte er jedoch auf eine frühe Karriere als Trompeter zurückblicken. Wie so viele talentierte Musiker dieser Zeit verdiente er sich seine Sporen bei Lionel Hampton. Wes hatte ebenfalls fast zwei Jahre bei Hampton gespielt, damals das Hampton-Orchester jedoch schon wieder verlassen. Allerdings gehörte Buddy Montgomery damals zu Hamptons Aufgebot und trat unter anderem auch in Paris auf, ebenso Clifford Brown, Art Farmer, Gigy Gryce und Annie Ross. So war Jones ein alter Bekannter der Montgomery-Familie und er erkannte die damals noch schlummernden Talente der drei Brüder.

Bei Columbia, der damals größten Plattenfirma, hatte man mit Blick auf das jüngere Publikum ein neues Plattenlabel gestartet, auf dem vor allem Rhythm-and-Blues Aufnahmen für die schwarzen Radiosender erschienen. Quincy ließ das Quintett für einen Tag nach New York ins Columbia-Studio an der 30. Straße anreisen und probeweise eine Reihe von Takes einspielen. Das war übrigens genau das Studio, in dem ein paar Jahre später die Platte aufgenommen werden sollte, die gemeinhin als beste und erfolgreichste Jazzplatte überhaupt gilt – Miles Davis’ Kind of Blue.

Ein historisches Dokument

Das Resultat der Probeaufnahmen mit den Montgomerys ist hörenswert – sowohl musikalisch als auch klangtechnisch, lediglich die Gitarre ist etwas zu schwach ausgesteuert. Aus heutiger Sicht zumindest, denn der Sound dieser Gruppe wird eigentlich von Tenor Alonzo “Pookie” Johnsons dominiert, einem Mitschüler der Montgomery Brüder, der zu den führenden Saxophonisten ihrer gemeinsamen Heimatstadt Indianapolis gehörte, aber sonst unbekannt blieb und sein Dasein als Postbeamter fristete. Am Schlagzeug saß Robert “Sonny” Johnson, ebenfalls ein festes Mitglied der Gruppe.

Die jetzt zum Record-Store-Day 2014 erschienene Platte eröffnet mit einem furiosen Love for Sale, bei dem sich die Protagonisten bei hohem Tempo schnelle Bälle zuspielen, alles sehr exakt, kompakt und gründlich arrangiert, also keine zusammengewürfelte Blowing-Session. Dazu dynamischer als bei den späteren Pacific-Aufnahmen. Alle anderen Titel sind Kompositionen von Wes. Leila klingt bereits in diesem Jahr in sich geschlosssen und rund wie es 1958 für Pacific erneut aufgenommen wurde. Undecided erscheint hier zum ersten und einzigen Mal, es basiert auf den Changes des gleichnamigen Titels von Sid Robin und Charlie Shavers, der in diesem Jahr zu einem Hit für Billy May geworden war, wird aber vom Montgomery-Johnson-Quintett Be-Bop-artig verfremded. Leider fehlt dieser Einspielung trotz des originellen Arrangements das Freche, Ungestüme, das man bei Love for Sale hören kann. Der nicht näher benannte Blues hingegen orientiert sich an den Blues-Shouter Aufnahmen, an denen Wes Montgomery um 1950 bei Lionel Hampton und Gene Morris partizipierte. Auch dieser Titel kommt sehr “brav” daher, und das Quintett nutzt ihn nicht, um improvisatorisch in irgendeiner Weise auszubrechen.
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Montgomery-Johnson Quintet (1955)
Montgomery-Johnson Quintet (1955)

Kurzinfo: Wes Montgomery & The Montgomery-Johnson Quintet

Aufgenommen am 15. Juni 1955 im Columbia 30th Street Studio, NYC
Produziert von Quincy Jones

Besetzung: Wes Montgomery (g) Monk Montgomery (b) Buddy Montgomery (p) Alonzo “Pookie” Johnson (ts) Robert “Sonny” Johnson (dr)

Titel:
Love for Sale (Cole Porter)
Leila (Wes Montgomery)
Undecided (Wes Montgomery)
Blues (Wes Montgomery)
Far Wes (Wes Montgomery)[/box]

Warum die Aufnahmen erst jetzt erscheinen

Columbia lehnte die Veröffentlichung der Aufnahmen ab, allein Love for Sale erschien, kaum wahrgenommen, 1983 auf einem CBS-Sampler namens Almost Forgotten (Columbia FC-38509). Alle anderen Stücke dieser Session blieben im Archiv. Die Gründe sind heute nicht mehr bekannt, doch wenn man bedenkt, dass George Avakian im Jahr darauf Miles Davis und Dave Brubeck für das Plattenlabel gewinnen konnte, erscheinen die vorliegenden Aufnahmen doch etwas konservativ. Und Wes spielt zwar ordentlich, doch hatte er damals noch nicht zu seinem Sound mit Oktaven und Blockakkorden gefunden, und seine improvisatorischen Fähigkeiten sind in den eher kurzen Soli ebenfalls noch nicht zu erahnen. Dennoch spielt die Gruppe deutlich entspannter im Studio als Wes‘ Trio das 1959 bei den ersten Riverside-Aufnahmen tun würde.

Die vorliegenden Aufnahmen, die immerhin Zeugnis der ersten Montgomery-Plattenaufnahme unter eigenem Namen sind, wurden von Resonance Records mit einem zeitgenössischen Cover versehen und mit 2000 Exemplaren als Zehn-Zoll LP vertrieben, gerade so, als ob es diese Platte bereits 1955 schon gegeben hätte, gewissermaßen als Wiederveröffentlichung eines nie erschienenen Albums. Sony, das heute den Columbia/CBS-Katalog besitzt, war sich nicht mehr der Tatsache bewusst, dass es auf diesen Aufnahmen in seinem Archiv hatte und musste davon überzeugt werden, nach ihnen zu suchen, willigte aber in diesen ungewöhnlichen Vertiebesweg ein.

Diese Wiederveröffentlichung ist mit viel Liebe für Details produziert worden. Verantwortlich dafür war ein Mann namens Zev Feldman, der das Resonance-Label mit Leidenschaft betreibt, und zwar als Non-Profit Organisation die von ihren Gewinnen talentierte jüngere Künstler fördert. Feldman hat noch weitere unveröffentlichte Aufnahmen in Vorbereitung. Schön, dass sie bald zu hören sein werden.

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