Eine der am häufigsten kolportierten und am wenigsten belegten Episoden in der Biographie von Wes Montgomery ist das Zusammentreffen und Zusammenspiel mit John Coltrane. Angeblich wollte Trane, dass Wes Montgomery zu seinem Quintett mit Eric Dolphy, McCoy Tyner, Reggie Workman und Elvin Jones stößt. Und angeblich gibt es gemeinsame Aufnahmen vom Monterey Jazzfestival vom 22. September 1961, die aber niemand kennt. Mal sollen sie verschollen sein, mal liegen sie im Safe von Carlos Santana. Jazzdisco.org listet drei Titel aus dem Repertoire des Saxophonisten: My Favorite Things, Naima und So What/Impressions. Aber aus irgendeinem mysteriösen Grund, so die Legende weiter, hat es dann doch nicht geklappt mit dem Sextett. So stehen wir dann da und ärgern uns, warum wir keine Zeugnisse der Begegnung dieser beiden haben. Meine bisherigen Bemühungen, mehr über diese Episode zu erfahren, sind immer im Sand verlaufen. Ich kenne keine Quelle, die man als halbwegs „primär“ oder verlässlich bezeichnen könnte. Ich wäre aber natürlich dankbar dafür, keine Frage. Meine persönlichen 2 Cent dazu: Wes und Trane, dass hätte von der Biographie und Parallelität der Karrieren natürlich gut gepasst, aber ich glaube, Wes hätte nicht wirklich in das musikalische Konzept Coltranes gepasst, das just um diese Zeit ganz neue Dimensionen erreichte. Vergleicht man die Aufnahmen, die Wes Montgomery 1961 gemacht hat („The Montgomery Brothers in Canada“ etwa) mit beispielsweise den 1961er Village-Vanguard-Aufnahmen von Trane, dann ist das doch deutlich harmloser, konventioneller, langweiliger, was Wes macht. Bei aller Virtuosität, das musikalische Genie eines John Coltrane hatte Wes nicht. Insofern hätten die beiden meiner Meinung nach nicht zusammengepasst. Aber ich kann mich auch täuschen.
Update: Dank eines langen Kommentars drüben auf Facebook bin ich nun ein wenig klüger, was die Coltrane-Wes-Episode angeht. Wer mag, kann Oliver Dunskus‘ Kommentar dort gerne in Gänze lesen. Hier nur Olivers Übersetzung eines Downbeat-Artikels vom November 1961, in dem das Konzert vom 22. September rezensiert wird: „Neben seiner festen Rhythmusgruppe hatte Coltrane Wes Montgomery und den Bläser Eric Dolphy dabei. Obwohl die Gruppe eine Stunde auf der Bühne blieb, wurden nur drei Stücke gespielt. Montgomery war der herausragende Solist, seine Soli waren von einem wunderbaren Rhythmusgefühl gezeichnet. In My Favorite Things verwendete er Call-and-response Effekte, bei denen er teilweise zur Melodie zurückkehrte ein, und lineare Improvisationspassagen als Gegenpol. In Naima, einer Ballade, spielte er Oktaven als Erweiterung der Melodie. Aber richtig aufregend wurde sein Spiel erst im dritten Stück, So What?. Coltrane und Dolphy hatten die meiste Zeit über Intonationsprobleme, aber beide schafften es, damit halbwegs fertig zu werden und einige spannende Soli zu spielen, obwohl keiner von beiden so bewegend und beständig spielte wie Wes. Wenn Coltrane es schafft, diese Gruppe zusammen zu halten, könnte sie sich zu einem der interessantesten Ensembles im Jazz entwickeln.“